Hallo,
lange habe ich nichts von mir hören/lesen lassen, da ich einige Zeit kürzer treten musste. Heute möchte ich euch ein update meiner CI-Geschichte geben. Die meisten Beiträge hier berichten begeisternd über die erste Zeit mit CI. Ich stelle jedoch fest, dass die Zeit danach - wenn die Technik einigermaßen eingestellt ist - mindestens genauso anstrengend und wichtig ist.
Mit meinem 3-Monatstest, Anfang Dez. 07, hatte ich die von mir erhofften 100 % Einsilber bei 65 Db erreicht. Ich war stolz und froh über diesen guten Erfolg. Ich probierte vieles um mich herum zu verstehen und nutzte nach Möglichkeit nicht die FM-Anlage. Diese ersten drei Monate mit CI haben mich von Hörerfolg zu Hörerfolg gepuscht und das war letztendlich das, was ich mir gewünscht hatte.
Doch dann begann es, alles wurde mir zu viel. Ständig hörte ich viel mehr wie ich früher gewohnt war. Ob in der Familie, auf der Straße, in der Sporthalle, bei der Arbeit überall waren Geräusche, die ich vorher nicht hörte und jetzt auf mich einstürzten. Sicher es war toll an der Aldi-Kasse das Danke schön und schönen Tag auch 2 Schritte weiter noch zu verstehen. Allerdings begann ich mich zu fragen, ob ich alles und jedes hören musste.
Dazu kam das mein geändertes Kommunikationsverhalten. In Gesprächen und Diskussionen verstand ich viel mehr und konnte mich dadurch besser einbringen. Zu viel mehr Dingen wie früher äußerte ich meine Meinung und bekam entsprechende Reaktionen zurück, was ich wiederum nicht gewohnt war. Ich merkte wie sehr mich meine Schwerhörigkeit eingeschränkt hatte, meine Konzentration immer nur ins Verstehen ging und ich nicht mehr agieren konnte. Das war jetzt deutlich besser und ich kostete dieses neue Bewusstsein aus. Meine Familie und meine Kollegen merkten ebenfalls, dass ich mich veränderte und reagierten anders auf mich. Früher war ich ein stilles Mäuschen das nicht so aktiv mitdiskutieren konnte, jetzt aber mitmischte und auch ohne Schonung behandelt wurde.
Es kam was kommen musste, ich erkrankte und lag über die Weihnachtsfeiertage im Bett. Der Körper äußerte, was meine Seele nicht verkraftete. In der anschließenden Urlaubswoche kam ich noch ein wenig zur Ruhe.
Bei meiner nächsten Anpassung Anfang Jan. 08 hatte ich bei gleicher CI-Einstellung wesentlich schlechtere Werte und trotzdem ließ ich mir das CI leiser stellen. Ich wollte zur Ruhe kommen, und habe mich wieder etwas zurückgezogen, um mir Hörpausen zu können. Es dauerte einige Wochen bis ich einigermaßen mein inneres Gleichgewicht wieder gefunden hatte. Aber es stand noch auf wackeligen Beinen.
Ich gelang zu der Meinung, dass ich eine längere Auszeit benötigte. Ich beantragte eine Kur, die auch schnell genehmigt bekam. Mit meinen Sohn reiste ich über Ostern zur Mutter-Kind-Kur nach Schloss Neuhaus-Schierschnitz in Thüringen. In dieser kleinen Klinik werden Gehörlosemütter integriert und die Therapeuten kennen sich mit den Problemen der SH aus. Dort habe ich mir ganz bewusst viele, viele Hörpausen gegönnt, mich oft zurückgezogen, die Stille genossen und Kraft getankt. Mittlerweile bin ich 1,5 Monate wieder zu Hause und ich stelle fest, dass für mich die mentale Verarbeitung des CIs eine ganz wichtige Rolle spielt.
Meine SH-Karriere verlief über nahezu 30 Jahre ständig schlechter werdend. In diesen Jahren habe ich intuitiv mein Verhalten immer wieder dem Hörstatus angepasst, ich habe Tricks und Taktiken gesucht sie auszugleichen und war der Ansicht, dass es recht gut klappte. Trotzdem habe ich gerade in den letzten Jahren gespürt, wie oft ich anders im Gegensatz zu Normalhörenden reagierte. Durchs CI wurde ich einen riesengroßen Schritt zurückgeschleudert. Von der anfänglichen Begeisterung angetrieben, immer mehr immer besser zu verstehen, wollte ich es möglichst nah bis zum Normalhörenden bringen. Doch es ging einfach zu schnell, und ich weiß heute wie wichtig und notwendig mir Hörpausen sind. Auch wenn ich wesentlich besser verstehen kann, bin ich mir bewusst, dass ich nach wie vor hörgeschädigt bin und oftmals meine Sonderbehandlung einfordern muss, um mich nicht zu überfordern.
Gibt es hier jemanden dem es ähnlich erging?
Herzliche Grüße
Hildegard