Frisch dabei aus Hamburg - ein Livebericht

  • Die Wochen 3-7 nach der OP / Tympanoskopie:

    Status: Die Wunden der OP sind weitgehend abgeheilt. Leider ist das rechte Ohr nach wie vor fast taub. Fast, weil sehr hohe Frequenzen bei relativ hoher Lautstärke (z.B. Earpods) zu einer Art übersteuerter Signale führen. Man kann nicht wirklich hören oder gar verstehen, aber da ist eine Art Scheppern.

    Schwindel: Gaaaaaanz langsame Besserungen - alle 5 Sessions ("doppel KG" lt. Rezept) sind nun rum. Die (vestibülär-) Übungen des IVRT sind im großen und ganzen systematische Simulationen natürlicher Bewegungen mit aufsteigenem Schwierigkeitsgrad. Am Ende der Übungsreihe steht die individuelle komplexere 3-dimensionale Bewegung (in meinem Fall eine Abstaktion einer Bück-Bewegung bei gleichzeitiger Drehung der Kopfes und Rumpfes ("aus dem Stand nach unten beugen, leicht in die Hocke gehen und von unten nach oben schauen"). Bestimmte Bewegungen des Kopfes sind bei mir relativ erfolgreich, andere (noch?) nicht. Insbesondere die scheinbar einfache Fixierung des Horizonts beim ruhigen Spazierengehen ist unheimlich schwer. Generell gilt nach wie vor: Kopfbewegungen erzeugen Schwindel, Augenbewegungen nicht. Deshalb war auch die Video-Serie im IVRT-Programm mit Alltagsszenen (Rolltreppe fahren, über die Straße gehen) usw. bei mir praktisch wirkungslos, weil ich dabei meinen Kopf nicht wie im wirklichen Leben bewege.

    Arbeit: Es wird besser, aber die Ermüdung durch die zusätzliche Arbeit des Gehirns führt immer noch zu schnellerer Erschöpfung. Ich kann aktuell ca. 50% der Zeit durchhalten (im Vergleich zu vorher), bin dabei aber auch langsamer (erhöhe ich das Tempo, wird mir sofort schwindelig).

    Sport/Bewegung: Yes! Ich konnte inzwischen (Woche 7) wieder den Einstieg ins Lauftraining finden. Laufen erscheint mir fast einfacher als ruhiges konzentriertes Gehen. Ich meine, das liegt daran, dass beim Laufen auch früher schon Schwankungen ganz normal waren und "eingepreist" sind, während beim Gehen idealerweise alles super stabil im Gleichgewicht war. Und Ende der Woche 6 sind erste Tests mit dem Fahrrad erfolgreich verlaufen, so dass ich zumindest klassisch mit dem Stadtrad zur Arbeit fahren kann (relativ aufrecht und entspannt). Der große Test mit dem Rennrad steht noch aus. Auto fahren hab ich noch nicht versucht.

    Freizeit: Ein paar Touren konnte ich absolvieren; darunter eine 4-tägige Tour von Hamburg nach Franken (ICE) einschl. Wanderungen, City-Tour, Museum, Aufstieg zu Marienfeste, Kirchenbesuch, Kinobesuch, Weinprobe, Essen gehen, Tram und Bus usw. Es war schon anstrengend, lief aber doch recht gut - unter dem Strich klar als Urlaub zu verbuchen! Dann noch eine Wandertour durch die Heide und ein paar Besuche bei Sport-Events (relativ stressig wegen der vielen Lärmquellen).

    Mentale Verfassung/Inneres: Nach wie vor zeigt die Analyse bei mir, dass typische physische Risikofaktoren kaum vorliegen oder schon vorher erkannt und abgestellt wurden. Also bleibt eigentlich nur der Stress (wie bei vielen anderen Menschen auch). Und da eben nicht bei mir der kurzfristige/akute (berufliche, existentielle usw.) Stress, sondern eben meine ureigene rastlose "stressige Art", die Dinge zu behandeln. Immer mehrere Dinge gleichzeitig, möglichst schnell und effektiv, mit dem Gedanken schon beim nächsten Thema usw. In dieser Stress-Kette sind die Sinne ein ganz maßgebliches Werkzeug, Fluch und Segen zugleich - und da war eben das Gehör bei mir ein ganz zentrales Element. Körper und Geist als ganzes waren meiner Einschätzung nach immer am Limit und überfordert und so hat "das System" festgestellt, dass ein Abschneiden der unentwegt einprasselnden Informationen über das Gehör helfen könnte (am besten Radio an, Tochter redet auf mich ein, meine Frau sagt auch was, Podcast dazu und womöglich noch Musik im Hintergrund). Ein Ohr aus und siehe da: Nun muss alles der Reihe nach gehen, entweder Radio oder Tochter, entweder Frau oder Podcast. Bitte ab jetzt hinten anstellen! So wird die Entschleunigung halt erzwungen. Wenn es mir zuviel wird, gehe ich halt raus und bin für mich alleine. Das hätte ich früher nicht getan, sofort ein schlechtes Gewissen bekommen. Jetzt ist es zum ersten mal für mich völlig in Ordnung.

    Musik zu hören ist leider nicht mehr so schön wie vorher. Sogar Fledermäuse konnte ich noch bis vor kurzem hören. Wie gerne habe ich das gemacht, den Feinheiten gelauscht, gar Lautsprecher konzipiert und gebaut - und wie erheblich eingeschränkt ist das doch jetzt! Jemand sagte mal: "Blindheit entfernt von den Dingen, Taubheit von den Menschen" - ich kann das nun ein bisschen nachvollziehen.

    In einer Woche habe ich nochmal eine Nachsorge beim HNO. Immer noch möchte ich gerne die MRT haben, die mir mein Kontakt angeraten hat. Und in ca. 6 Wochen soll es nochmal ein Gespräch in der Klinik geben (perspektivische Tests mit Hörgerät, ganz weit hinten am Horizont in 2025 dann evtl. eine CI Option).

    Ach, könnte man nur auch diejenigen erreichen, denen das noch nicht passiert ist und sie warnen - aber ist liegt wohl in der Natur der Dinge, dass erst das Kind in den Brunnen fallen muss und dann sind wir Betroffenen hier dann halt unter uns, aber dann ist es für eine Vorsorge meist zu spät. Aber ich habe nicht zu klagen, es geht mir den Umständen entsprechend doch gut.

  • Ich habe ja schon einige Menschen getroffen, die Hörstürze hatten. Es sind ganz unterschiedliche Charaktere, ich kann ehrlich gesagt nicht feststellen, dass es da einen Zusammenhang zwischen Charakter gibt. Es trifft die fleißigen, die Hibbeligen genau wie diejenigen, die bis zum Hörsturz in sich geruht haben. Es scheint schicksalshaft zu sein, genau wie viele andere Erkrankungen auch.

  • Danke Andrea für diese Anmerkung!

    Ich sehe, wie ganz viele schnell mit der Meinung dabei sind, dass das vom Stress kommt. Und das hat manchmal auch etwas wertendes. Ein bisschen in dem Sinne: hält Belastung nicht aus. Oder: hättest Du besser auf Dich aufgepasst, wäre Dir das nicht passiert.

    Ich habe aber nun viele kennengelernt, die in sich ruhten, als es passiert ist. Es gibt so viele Gründe. Niemand kennt die Ursache. Man sollte sich das eingestehen und auch anderen erklären: es kann wirklich jeden treffen.

    CI seit August 2024. Med-El, HdO-Prozessor SONNET 2, Elektrode SYNCHRONY 2 FLEX soft

    Im Juni 2023 links von einem Tag auf den anderen (ohne Erkrankung) ertaubt. Vorher normalhörend.

    Rechts normalhörend.

  • Ich lehne auch das Konzept der Esoterik entschieden ab, nach der Krankheiten letztlich "selber Schuld" Signale seien - in dem Sinne dass "ja schon irgend etwas falsch gemacht wurde, wenn man krank geworden ist" und Krankheiten nur in dem Sinne zu deuten seien. Und auch die daraus abgeleitete Philosophie, nach denen nur die innere Haltung genügend verändert werden müsse, um eine Heilung zu erzielen (und wo daher unter den Extremisten jegliche schulmedizinische Behandlungen rundheraus abgelehnt wird - z.B. Stichwort "neue Germanische Medizin").

    Ich würde mal so sagen: Egal ob es nun konkret vom Stress kommt - es gibt unzählige weitere Argumente dafür, den Stress so gut es geht zu reduzieren und das auch schon vor einem möglichen Hörsturz. Das wollte ich damit sagen.

  • HNO Nachuntersuchung ca. Woche 10 nach der Tympanoskopie.

    Gehör betroffenes (rechtes) Ohr: Der fast komplette Hörverlust bleibt bestehen, jedoch minimale Verbesserung im Hochtonbereich (neue Messung bestätigt dies). Dort ist eine Art Zischeln zu hören (z.B. wenn man Earpods mit mindestens mittlerer Lautstärke einsetzt). Das hat mit Verständlichkeit wenig zu tun, ist aber hörbar. Auch gibt es eine gewisse Interaktion mit dem intakten Ohr: Wenn Geräusche plötzlich nachlassen, "rauscht" es beim betroffenen Ohr eine halbe Sekunde noch nach.

    MRT: Nun - nach einiger Erholung - hat der HNO ein Rezept für ein MRT ausgestellt. Das wird - je nach Terminlage - in ein paar Wochen durchgeführt.

    Nächste Schritte: Nach dem MRT werden verschiedene Hörgeräte Optionen besprochen - unter anderem eine Art Kompensation auf dem intakten Ohr(ich weiss nicht, wie der Fachbegriff lautet: Es sollen dann Signale aufgenommen und an das intakte Ohr gesendet werden.

    CI "am Horizont": Ab mindestens 6 Monaten und den diversen Hörgeräte Tests.

    CI - was und wo? Jetzt gut aufpassen: "Durch die Blume" bekam ich vom HNO zu hören, dass man "da sich sorgfältig beraten lassen" solle, auch solche Infoveranstaltungen seien nicht zu verachten und dass man "auch mal über den Tellerrand hinaus blicken" könne. "Vielleicht ist ein bisschen Abstand von Zuhause auch gut" - Hannover z.B. sei ja "nicht zu weit weg". Meiner Anmerkung, ob der HNO die CI-Implanteure in Hamburg denn nicht so gut fände, wurde nicht widersprochen.…

    Schwindel: Gott sei dank immer und jeden Tag ein bisschen besser. Bald werde ich zum ersten mal wieder aufs Rennrad steigen. Freue mich unheimlich!