Kommunikation mit Fremden

  • Als Lehrerin einer 1. Klasse habe ich meinen Schülern bereits am ersten Schultag meine Hörsituation erzählt. Es kann doch öfter sein, dass ich nachfragen muss, vor allem, wenn zusätzlich Geräusche im Raum sind.

    Am ersten Elternabend erklärte ich es auch den Eltern, nicht dass ihre Kinder sagen, die Frau ... hört schlecht. Ich höre eben anders und muss manchmal nachfragen.

    Beim ersten Elternsprechtag bedankte sich eine Mutter für meine Offenheit. Sie selber, Gymnasiallehrerin, habe nun Mut bekommen, auch ihr Problem anzusprechen.

    rechts taub nach Mittelohrentzündung Dez. 2016 mit Verlust des Gleichgewichtssinns

    Mi1200 SYNCHRONY von MED-EL SP Sonnet

    OP am 7.11.2017, EA 5./6.12.2017

    links normalhörend

  • Vorweg, ich gehe sehr offen mit meiner Hörbehinderung um. Ich trage recht bunte und auffälige Geräte. HG ist blau, Ohrpassstück rot, SP in rubinrot, Rogerempfänger in orange, RogerPen in silber und rot. Die Technik wird meistens übersehen - juckt mich nicht.

    Da ich in meinem Job viel mit "Fremden" Kommunikationspartnern zu tun habe, muss man sich seiner Problematik des schlechten hören und verstehens bewusst sein. Im Verkauf hab ich auch mit Störgeräuschen in Form von Nadeldrucker, Kaffeevollautomaten, Telefonklingeln, Gespräche weiterer Kunden, quasselden Kollegen usw. zu kämpfen. Als Erstes hab ich mir angewöhnt meinem Gesprächspartner ins Gesicht zu sehen und besonders die Lippen im Auge zu behalten. Zweitens versuche ich alle anderen Geräusche und insbesondere andere Gespräche zu "überhören/auszublenden ... klappt recht gut. Problematisch wird es meistens, wenn der Kunde Socken im Mund hat, nuschelt oder der Meinung ist, wenn er mit mir spricht sein Gesicht von mir weg zudrehen. Da kommt dann die Ansage: Ich habe sie akustisch nicht verstanden.

    Teilweise ein erstaunter Gesichtsausdruck und ich erkläre, dass es nichts nutzt mit der Wand zu reden, denn dann verstehe ich ihn nicht.

    Leute die zu hektisch und schnell sprechen, weise ich darauf hin, dass ich Technik zum Hören habe, diese aber nicht so schnell mit kommt.

    Es kommt auch vor, dass ich um Ruhe bitte um mein Gegenüber zu verstehen, aber es einige nicht interessiert und so sage ich ihnen, dass sie die Rechnung meiner Batterien erhalten. In fast allen Situationen ernte ich erstaunte Gesichter, fragende Blicke und ich schiebe eine kurze Erklärung meiner Situation hinterher.

    Da die meisten Leute Handwerker sind, können die mit einem rauen Ton umgehen und mit meiner Art hab ich auch viele neugierig auf mein Hörproblem und die Technik gemacht. Positive Rückmeldungen hatte ich auch schon, z.B. wenn ich Informationen zu HGs und Akustikern gegeben hab und jemand dadurch das passende HG für sich bekommen konnte. Auch zum Thema CI hab ich schon einigen Leuten die Angst nehmen können.

    In Gesellschaft, Veranstaltungen oder anderen Menschenansammlungen konzentriere ich mich nur auf meinen Gesprächspartner und blende alles andere aus. Ich muss nicht versuchen woanders vom Gespräch etwas mit zu bekommen - dass schlaucht einen nur. Wenn jemand unvermittelt mit mir spricht und ich den Anfang nicht mitbekommen hab, sage ich: Moment bitte (drehe mich zu ihm) Entschuldigung ich hab den Anfang nicht mitbekommen. Klappt gut. Wenn einer abwinkt oder sagt: ist egal, dann weise ich auf mein CI und HG hin und es wird doch geredet.

    Wenn es doch zu heftig wird - dann klinke ich mich aus und sage einer Vertrauensperson Bescheid, dass ich mal kurz hörtechnisch abwesend bin. Nach 10 bis 20 Minuten bin ich dann meist wieder ansprechbar.

    Im Ganzen muss jeder für sich selbst seinen Weg suchen und auch situationsbedingt die Handlungen abwägen. Es gibt kein Universalrezept wie man mit seinem Gegenüber oder mit einer Menschenmasse umgehen soll. Einfach selbst sein, probieren und eventuell sich auch einfach mal umdrehen und sagen: "Du mich auch - watt fürn Spinner".

  • Ich lebe schon lange mit meiner Hörbeeinträchtigung und habe jahrzehntelang nichts gesagt und mich irgendwie durchgemogelt. Vielen Situationen mit vielen Menschen bin ich schon immer aus dem Weg gegangen, einfach weil ich eh nicht viel davon hatte ausser Kopfschmerzen und Müdigkeit danach.

    Heute gehe ich offener damit um, aber ich binde nicht jedem sofort auf die Nase dass ich schlecht höre. Wenn ich merke, dass ich an meine Grenzen komme, dann sage ich was, aber nicht einfach so im Voraus. Ich frage nach und erkläre nötigenfalls, dass ich es nicht verstanden habe da ich nicht gut höre.
    Seit gut einem Jahr trage ich die Haare kürzer so dass man den SP sieht.

    Bei der Arbeit erkläre ich jeweils anfangs des Schuljahres, dass ich schlecht höre und ein Ci trage und zeige den Kids was das genau ist, den neuen Lehrpersonen im Team ebenfalls. So fahre ich gut.

    Ich gehe aber grundsätzlich davon aus, dass es die anderen nicht wirklich interessiert und es mein Problem ist und ich einen Weg finden muss damit zurechtzukommen ohne dass meine Umgebung wahnsinnig viel Rücksicht auf mich nimmt, vor allem bei der Arbeit.

    li normal hörend

    re taub nach chronischen MOE im Kindesalter, Cochlear N6/N8 OP 8.2.18 EA am 8.3.18

  • Nikita : Zu deinen letzten Zeilen möchte ich gerne etwas anmerken: Ich denke, die Menschen, mit denen man im näheren Umfeld zu tun hat, nehmen schon eher Rücksicht auf einen als fremde Personen. Solange man mit der Familie, mit Freunden und den Arbeitskollegen zurecht kommt, ist es doch gut.
    Wie meinst du das genau, dass vor allem auf der Arbeit du davon ausgehst, dass es sie nicht wirklich interessiert, was deine Hörschädigung betrifft? :/

  • ReCI

    Ja, die Familie und Freunde nehmen schon Rücksicht, aber auch nicht immer, ich will nicht, dass meine Familie nicht auswärts essen gehen kann nur weil es mir zu laut ist oder ich nichts von der Unterhaltung verstehe. Da nehme ich mich zurück und bin einfach dabei. Es muss auch für die anderen passen und nicht nur für mich. Sprich ich stelle mich nicht ins Zentrum.

    Ich arbeite in einem Umfeld mit vielen externen Partnern zusammen, da erkläre ich nicht jeder Person was mit mir los ist und versuche so gut zu funktionieren wie es geht. Die im näheren Arbeitsumfeld wissen alle Bescheid, aber bei Elternkontakten, Behörden, Fortbildungen usw ist dies nicht möglich und auch nicht immer sinnvoll und oft geht es auch einfach vergessen, viele Leute haben Probleme in einem Bereich und können etwas nicht so gut.

    Ich hatte mal eine Arbeitskollegin mit einem Rückenproblem.

    Bei allem, aber wirklich bei allem meinte sie: Das kann ich nicht, ich kann nicht 1 Stunde lange sitzen, ich kann nicht auf den Ausflug mitkommen das ist mir zu lang, Sport unterrichte ich nicht, Musik auch nicht, im oberen Stock des Schulhauses auch nicht, die Treppe ist zu lang und anstrengend usw. Am Schluss haben wir alle nur noch den Kopf geschüttelten sie wieder davon anfing und sie hat dann eine andere Stelle gesucht und gefunden, aber dort auch rasch wieder gewechselt.
    Statt dass sie während der Konferenz einfach mal kurz aufgestanden wäre, bei der Stundenplanung ihre Wünsche klar notiert hätte und nur mit ihrer Stellenpartnerin direkt abgesprochen wer wo und was unterrichtet. Immer hat sie während Sitzungen ihre Bedürfnisse laut verkündet und meinte es sei nun zu lang, sie gehe jetzt.

    Was ich sagen will:

    Ich bin ein Mensch und ausser meinen Ohren funktioniert alles und das mit den Ohren klappt mit Hilfsmittel und kleinen Tricks oder Auszeiten gut. Man muss einfach sehen was funktioniert und mehr davon machen als das Defizit in den Mittelpunkt stellen und vor allem nicht immer wieder wiederholen wie schlecht man hört, die anderen mögen das nicht mehr hören.

    li normal hörend

    re taub nach chronischen MOE im Kindesalter, Cochlear N6/N8 OP 8.2.18 EA am 8.3.18

  • Nikita : Vielen Dank Dir für die Erklärung. Ich verstehe jetzt gut, was Du meinst. Ich nehme es auch oft einfach hin, wenn ich mit meiner Familie Essen gehe, weil man dabei sein möchte. Die Hörenden um uns herum können nun mal nicht ständig Rücksicht auf uns Hörgeschädigte nehmen. Innerhalb der Familie spricht man ja im Normalfall auch direkt zu uns Hörgeschädigten, wenn man sich mit uns unterhält.

    Das mit der einen Kollegin von Dir hört sich ja schon extrem an, da sie ja so negativ drauf war.

  • Bei mir ist es so, dass ich vor allem im beruflichen Umfeld massive Probleme mit dem hören mit CI hatte.

    Sitzungen und Besprechungen konnte ich einfach nicht mehr folgen.

    Bei mir tritt auch nach wenigen Minuten eine Hörermüdung ein, so dass ich einfach komplett abschalte.

    Jedenfalls habe ich dadurch den Anschluß im Berufsleben immer mehr verloren.

    Ja, auch wenn man den ganzen Tag am PC hockt, es geht einfach nicht ohne hören.

    Denn Wieterbildungen waren so auch für mich nicht mehr möglich.

    Das führte dann dazu, dass halt die Kollegen immer weniger mit mir anfangen konnten, so nach dem Motto, der weiß ja eh nichts.

    Bei den ach so tollen Workshops die es bei uns regelmäößig gab, wurde nie irgendwie auf die Akustik der Räumlichkeiten geachtet.

    Afterworkparys waren da dann auch für mich als Pflicht.

    Da haben sich die lieben Kollegen dann über meinen Kopf hinweg unterhalten und ich habe keinen Ton verstanden, obwohl ich dazwischen gesessen bin.

    So laut war da oft der Störlärm.

    Resultat, die Kollegen machen dann einen immer größeren Bogen um einen, weil sie eh keinen Bock, keine Zeit haben, alles nochmal wiederholen zu müssen.

    Zum Glück, liegen diese niederschmetternden Erlebnisse nun alle hinter mir, da ich einfach ausgestiegen bin.

    Ich glaube, wenn ich das noch einige Jahre ertragen hätte müssen, hätte ich mir irgendwann die Kugel gegeben.

    Oder ich wäre im Nirvana der Dauerdepressionen versunken.

    Privat geht es besser, die Familie nimmt eher Rücksicht, es besteht kein Zeit und Leistungsdruck wie im Geschäft.

    Ich muß da auch nicht unbedingt alles verstehen, ist ja weniger wichtiges.

    Aber Geburtstagsfeiern sind auch da eine große Herausforderung für mich, da bin ich dann oft froh, wenn der akustische Horror vorüber ist.