Folgen des Hörverlustes

  • Warum wird eigentlich so wenig z.B. seitens der Ärzte auf die Folgen der Hörbehinderung hingewiesen?

    Mich beschäftigt das Thema seit geraumer Zeit bzw. eigentlich bin ich überhaupt erst durch Erschöpfungszustände infolge meiner Hörbehinderung darauf gekommen, mich mit dem Thema CI zu beschäftigen.

    Wenn man gezielt nach psychosozialen Folgen der Schwerhörigkeit sucht, wird man im Internet relativ schnell fündig. Aber: Otto Normalverbraucher ist ja - Hörsturz und andere Traumata mal ausgenommen - nicht plötzlich "stocktaub", es ist eine schleichende Erkrankung, die von den Betroffenen oft erst nach Jahren überhaupt erst erkannt wird (im Internet ist häufig zu lesen, dass z.B. erst nach 5-7 Jahren der Gang zum Arzt bzw. eine HG-Versorgung stattfindet, nur 1/3 der HG-Verordnungen auch tatsächlich umgesetzt werden). Und dass unbehandelte Schwerhörigkeit u.a. psychosoziale Folgen bis hin zu Depressionen haben kann, davon erfährt der Patient nichts.

    Und suche ich im Internet symptombezogen nach Ursachen für Müdigkeit, Erschöpfung, finde ich alles mögliche - aber nichts zu unbehandelter Schwerhörigkeit.

    Bei mir z.B. ist es so, dass ich seit Kindheit um meine Hochtonschwerhörigkeit wusste. Eine HG-Versorgung führte in der Vergangenheit aber nicht zu einer Verbesserung, die HG verschimmelten nach kurzer Zeit in einer Schublade. Erst als ich 2012 merkte, dass ich TV immer lauter stellte und nochmal den Versuch einer HG-Versorgung startete, spürte ich erstmals eine Verbesserung meiner Hörsituation und trug die HG entsprechend regelmäßig.

    In 2016 ging es mir (vermutlich parallel mit einem zunehmenden Hörverlust auch in unteren Frequenzbereichen) mit einer Depression los. 2017/2018 hatte ich dann ohne Ende Schlafstörungen und Erschöpfungszustände. Ich bin von Arzt zu Arzt gelaufen, um eine organische Ursache für die Schlafstörungen zu finden (schlechter Schlaf = Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, ergo guter Schlaf nichts davon). Keiner hat etwas gefunden, keiner kam auf die Idee, meine Hörbehinderung bzw. den Hörstress damit zu verbinden. Irgendwann ist mir selbst aufgefallen, dass anstrengende Hörsituationen bei mir am nächsten Tag zu Erschöpfung und Müdigkeit führen (und dadurch mein Schlafrhythmus aus dem Takt kam).

    Ich habe meinen HNO auf das Thema angesprochen und nur ein Schulterzucken als Antwort bekommen. Meine Hausärztin ist durch mich erst für das Thema sensibilisiert worden. Da frage ich mich wirklich, wie es sein kann, dass so wenig darüber informiert wird. Zumal der Leidensdruck durch die Folgen der Hörbehinderung zumindest für mich viel höher war/ist als durch die Hörminderung selbst (ok, wer von Kindheit an beeinträchtigt ist, nimmt eine Hörbehinderung vielleicht auch leichter als jemand, der mit 50 Jahren z.B. plötzlich merkt, dass er/sie schlechter hört).

    Natürlich kann kein HG und kein CI das natürliche Hören 1:1 ersetzen, es sind immer nur Hilfsmittel - aber würden nicht viel mehr Menschen eher ein HG akzeptieren, wenn sie wüssten, welche Folgen eine unbehandelte Hörminderung hat? Gerade wenn heute viel offener über psychische Krankheiten wie Depressionen gesprochen wird, sollte das doch Grund genug sein, bei entsprechenden Symptomen auch mögliche Hörverluste anzusprechen oder?

    Mir wäre viel erspart geblieben bzw. ich hätte meine Lebensweise wesentlich früher wesentlich besser einstellen können, wenn mich einer diesbezüglich aufgeklärt hätte.

    In diesem Sinne

    Terry

    (sorry, das musste ich mal loswerden)

    Hochtonschwerhörigkeit/Hochtontaubheit von Kindheit an.

    Rechts: CI622 seit 12/2019, Nucleus 7

    Links: 65% Sprachverstehen mit HG (seit 2020 Oticon Exceed)

  • Warum das so ist, kann ich dir auch nicht sagen. Bei mir war es so, dass mehrere HNO-Ärzte, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe, immer nur mit den Schultern gezuckt haben, wenn das Hörvermögen wieder schlechter war oder aber mich bedröppelt angeschaut haben. Erst mein jetziger Arzt hat die psychischen Folgen eines Hörverlusts thematisiert bzw. sagte von sich aus, dass ein Hörverlust, auch ein schleichender schlaucht und die Psyche belastet. Er hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich jemand sei, der wahrscheinlich immer über Leistung Anerkennung bekommen hat, der immer "fleißig" war und der nun feststellen musste, dass es nicht mehr geht bzw. von seiner Umwelt auch zurückgespiegelt bekommt, dass er nicht mehr so leistet wie früher und dass dies wahrscheinlich auch zu Erstaunen und Unverständnis führt. In den letzten Wochen und Tagen vor der OP habe ich mich nur noch dahingeschleppt und wollte eigentlich bis zu dem Tag vor dem Einzug ins Krankenhaus arbeiten. Ich stand dann aber jeden Tag sehr schnell da und mir war k***übel und schwindelig. Ich hatte das Gefühl, meine letzte Kraft zu verlieren. Also bin ich drei Tage vor dem eigentlich geplanten Termin zu meinem Hausarzt gegangen (mein HNO-Arzt war im Urlaub), weil ich ein AU-Bescheinigung wollte. Ich habe ihm meine aktuellen Termine geschildert, saß wirklich wie ein Häufchen Elend vor ihm (er wusste, dass ich die OP vor mir hatte) und meinte, dass das ja quasi eine Gefälligkeits-AU wäre. Am Ende hat er mir eine ausgestellt, aber zu dem Zeitpunkt war er - auch wegen anderer Sachen - nur noch mein ehemaliger Hausarzt. Auf der Rechnung stand dann "berufsbedingte Anpassungsstörung" - er hatte nichts verstanden.

    einseitig ehemals an Taubheit grenzend, Implantation am 20.9.19, EA am 24.10.19, Nucleus 7 von Cochlear

    das andere Ohr ist normalhörend

  • Hallo Ihr Lieben,

    Das ist auch ein Punkt, den ich nicht verstehe. Selbst Dokumentationen darüber beleuchten diese Problematik kaum. Ich habe mal einen Bericht einer einseitig ertaubten Person gesehen. CI dran und raus in die Welt. Alles Tutti. Wie steinig dieser Weg ist, Nichts !!!!!

    Ich bin über Nacht auf dem linken Ohr komplett ertaubt. Das war an sich schon ein Trauma. Es sollten noch viele folgen in Form von unfassbaren Kommentaren aus meinem Umfeld. ( Willkommen im Club der Schwerhörigen, bei einem ersten Kontakt, hat mir den Boden unter den Füßen weggerissen. Nach einer Schilderung, wie Störlärmsituationen sind ( Restaurantbesuch ) Ach mein Mann versteht da auch nicht mehr alles, der sitzt dann da und grinst, ist doch nicht schlimm, kennt jeder hat jeder schon einmal gehabt 😂 ).

    Nicht das Mitgefühl, Zuhören, Verständnis die eigene Situation ändert, aber sie macht den irre schweren Weg vielleicht ein wenig leichter. Das Unwissen der Ärzte kommt noch dazu.
    Ich hoffe, daran wird sich irgendwann was ändern und Betroffene müssen den Weg nicht so gehen, wie ich das musste und immer noch muss . Man wird mit seinem „ Leidensdruck“ überhaupt nicht ernst genommen. Gibt es andere Krankheiten oder Verluste, bei denen das auch so extrem ist ?????

    ( Beispiel OP, ach da werden doch schon Kinder dran operiert 😂😂😂😂, obgleich die das harmloseste war für mich 😔)

    LG Blech

    2 Mal editiert, zuletzt von Blech125 (9. Januar 2020 um 08:22)

  • Hallo Zusammen,

    ein spannendes aber auch trauriges Thema. Auch ich saß nach der ersten CI-Anlage ziemlich psychisch zerstört vor meiner Audiologin und habe letztendlich nur noch geheult - 6 Monate mit ohne Gehör rumgeplagt und dann nach der CI-OP zu erfahren, dass das CI nicht richtigt funktioniert - tip fold over.

    Die Audiologin sagte kurz, dass etwa dreiviertel unserer Patientengruppe depressive Phasen erleben, mehr oder minder schwer.

    Auf meine Frage, warum diese Patientengruppe nicht von Anfang an psychologisch betreut wird (oder zumindest angeboten wird), sagte sie, daß die Krankenkasse das nicht erstattet. -Ende ihrer Aussage und damit wohl auch der Verantwortlichkeit-.

    Nach der Re-OP habe ich kein Angebot bekommen, vor der zweiten CI Anlage "musste" ich zu einem Psychologen - der wollte aber nur feststellen, ob ich kooperativ mitarbeite....zur Absicherung für die Krankenkasse.

    Bleibt Gesund! und ein frohes Neues Jahr,

    Gruß Bernd

    links CI 532 mit Cochlear N6, 06/2017

    rechts CI 632 mit Cochlear N7, 08/2019

  • Hallo,

    Auf meine Frage, warum diese Patientengruppe nicht von Anfang an psychologisch betreut wird (oder zumindest angeboten wird),

    In Freiburg ist es so, dass man während der Erstanpassungswoche immer einen Termin bei einer/m Psychologin/en hat. Als Mutter (wenn das Kind noch klein ist) und, soweit ich weiß, auch als erwachsener Neu-CI-Träger. Bei den folgenden Rehaterminen kann man dann auf Wunsch einen Termin bekommen (muss man am 1. Tag oder auch vorher sagen). Das ersetzt zwar sicher keine Therapie zu Hause, ist aber immerhin ein Ansatz :).

    Ansonsten kann ich zu dem Thema nichts schreiben, ich selbst bin ja nicht betroffen und mein Sohn kennt es nicht anders.

    Viele Grüße

    Katja

    Einmal editiert, zuletzt von Katja_S (10. Januar 2020 um 10:43)

  • Am Hören und vor allem Verstehen hängt soviel ......:/.... Neben der ganzen technischen Thematik interessiert mich zunehmend, was Hörverlust, das Hören überhaupt, und das wieder Hören lernen nach einer Versorgung mit uns Menschen macht. Wir sind hierzulande noch ganz gut aufgestellt, was Versorgung, Nachsorge, finanzielle Bezuschussung usw. angeht. Aber wie Ihr schon schreibt: die sozialen Befindlichkeiten fallen da etwas hinten ab. Niemand klärt da so richtig darüber auf, hier leistet jedoch die Selbsthilfe gute Arbeit.

    Für dieses Thema habe ich mir folgendes Buch bestellt, das ackere ich derzeit durch:

    https://www.median-verlag.de/index.php?page…emart&Itemid=73

    Gruss, Rainer.

    Beidseitig versorgt mit: Med-El (Flex 28 im Schneckle, aussen jeweils Sonnet, vormals Rondo)

    ____________________________________

    Das Gute missfällt uns, wenn wir ihm nicht gewachsen sind.

  • Am Hören und vor allem Verstehen hängt soviel ......:/.... Neben der ganzen technischen Thematik interessiert mich zunehmend, was Hörverlust, das Hören überhaupt, und das wieder Hören lernen nach einer Versorgung mit uns Menschen macht. Wir sind hierzulande noch ganz gut aufgestellt, was Versorgung, Nachsorge, finanzielle Bezuschussung usw. angeht. Aber wie Ihr schon schreibt: die sozialen Befindlichkeiten fallen da etwas hinten ab. Niemand klärt da so richtig darüber auf, hier leistet jedoch die Selbsthilfe gute Arbeit.

    Für dieses Thema habe ich mir folgendes Buch bestellt, das ackere ich derzeit durch:

    https://www.median-verlag.de/index.php?page…emart&Itemid=73

    Ich hab mir den Link gerade angeschaut ... ich glaub, ich werde mir ein neues Buch zulegen ;) Danke für den Tipp

  • Tja Terry, weil die Ärzte immer weniger Zeit für Patientengespräche haben.

    Und dann womöglich passiert es einem wie mir, da bin ich schon Dauerkunde beim HNO- Doc, und der erzählt mir ernst, dass ein Ohr komplett fürs Leben ausreicht, und ich CI sowieso nicht bekomme. Ich bin heute noch sauer, weil es schon immer klar war, dass mein anderes Ohr nach Stapes auch nicht ewig gut wird.

    Wie wichtig gutes Hören ist, kann man echt nur im Netz nachlesen, hin und wieder wird in einer Frauenzeitschrift darauf hingewiesen, dass schlechtes Hören auch Demenz begünstigt. Mehr aber auch nicht, das stimmt. selbst ist der mann bzw. Frau.

    rechts: CI seit Sept. 2013, danach Opus 2XS (sehr gern)+ Rondo (weniger gern). Seit 7.07.2020 Sonnet 2.
    links: Schwerhörigkeit bei Otosklerose, HG von Phonak

  • Die Ärzte haben weniger Zeit für Patientengespräche, weil die Vergütung oft noch nichtmals kostendeckend ist.

    einseitig ehemals an Taubheit grenzend, Implantation am 20.9.19, EA am 24.10.19, Nucleus 7 von Cochlear

    das andere Ohr ist normalhörend

  • Vorhin bin ich bei meinen Internetrecherchen auf die Studie "Volkswirtschaftliche Bedeutung von Hörschäden" des Instituts für Gesundheitsökonomik München von 2011 gestoßen. "Unversorgte" Hörgeschädigte haben danach ein erhöhtes Risiko für Depressionen, Demenz und Verletzungen. So etwas wie Verlust an Lebensqualität haben sie nicht berücksichtigt, aber vorgerechnet, was die KK sowie die Volkswirtschaft allgemein sparen könnten bei Förderung der Früherkennung/Frühversorgung von Hörschäden, weil die Kosten für die Versorgung der Hörschäden erheblich niedriger sind als die Kosten für Produktionsausfall (Krankheitstage) und Behandlung dieser Folgeerkrankungen (man geht davon aus, dass das Risiko für die o.g. Krankheiten nach einer adäquaten Versorgung durch HG's dann wieder dem normalhörender Menschen angeglichen ist).

    Ist schon erstaunlich, dass die Volkswirtschaftler da einen besseren Blick haben als die Ärzte....oder haben Ärzte etwa Angst, dass ihnen bei adäquater Aufklärung die Patienten ausgehen?

    In diesem Sinne

    Terry

    Hochtonschwerhörigkeit/Hochtontaubheit von Kindheit an.

    Rechts: CI622 seit 12/2019, Nucleus 7

    Links: 65% Sprachverstehen mit HG (seit 2020 Oticon Exceed)

  • Hallo, die Seite mit den Störungen habe ich auch schon gefunden. Der Buchtip ist gut, will ich mir auch zulegen. Danke dafür.
    Ich sollte mal zu einer Ärztin wegen eines Attestes bezüglich der Arbeit. Ich war CI Neuling und es ging um Reduzierung des Telefonierens ( wg. Hörstress und Hörbehinderunge). In der geplanten Telefonzeit kann das schon ein einarmiges Reißen werden. Auch dort war die Antwort: Sie haben doch noch ein Ohr . So ist das halt. Mein Chef hat da anders reagiert. Einer der wenigen Menschen, denen klar war, dass man nicht nur ein „ Ersatzohr „ verloren hat. Da muss sich was ändern. Es ist alles andere als leicht. Man verliert so schon den Boden unter den Füßen. und die Welt tanzt um einen rum „ man hat doch nichts, man soll sich bloß nicht so anstellen „. 😔.

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    Vortrag einer Ärztin über einseitige Ertaubung. In den 1. 6 Minuten wurde das Wichtigste gesagt.

  • Obwohl ich vmtl. seit meiner frühesten Kindheit einseitig taub bin, ohne dass ich es wusste, wurden meine Probleme, die mich mit Ü30 zu Psychotherapeuten führten (wobei die Diagnosen unterschiedlich waren) immer nur auf "Gene und Erziehung / Kindheit" geschoben. Kein Therapeut hat die Hörschädigung auch nur als Mitursache gesehen.

    Erst als ich im Rahmen der Reha nach der Implantation bei einer Ergotherapeutin im Cicero Erlangen war, wurde mir bewusst, dass eine einseitige Taubheit massive Auswirkungen hat. Ich habe im Internet recherchiert und festgestellt, dass viele Probleme die ich habe an SSD liegen dürften. So z.B. dass ich ungerne mit mehreren Personen abends weggehe sondern mich lieber mit max. vier Personen in einer ruhigen Umgebung unterhalte. Inzwischen ist mir klar, dass ich aufgrund der einseitigen Taubheit den Gesprächen dann nie folgen konnte, wer fühlt sich dann schon wohl? Auf der anderen Seite drehe ich immer mein gutes Ohr zum Sprecher, halte keinen Blickkontakt, was löst das wohl beim Gegenüber aus? Ich weiss inzwischen, dass einige Kollegen sagten, dass ich nicht mit ihnen reden würde - tija, die haben mich wohl von der falschen Seite angesprochen. SSD führt nach meiner Meinung immer wieder zu gegenseitigen Missverständnissen. Und dazu kommt dann Hörstress, weil man ja mithalten muss.

    Da bringt es nichts, wenn Therapeuten der Meinung sind, ich soll mehr Gruppenkontakte suchen. Da bringt nur Aufklärung etwas - und die Anpassung des Umfeldes.

  • Ich kann Rebecca zum großen Teil nur beipflichten:

    selbst seit Geburt an Taubheit grenzend schwerhörig, wurde weder meinen Eltern noch später mir konkret gesagt, was es heißt, schwerhörig zu sein. Ich hatte gelernt, meine eigene Schwerhörigkeit zu ignorieren und "normal" zu leben - zu einem hohen gesundheitlichen Preis.

    Knapp 10 Jahre vor der Implantation hatte ich einen Born-Out; war lange in Reha und lange krank geschrieben. Mich erschüttert es heute noch, dass schon damals keiner der Ärzte oder (Psycho-) Therapeuten auf die Idee kam, einen Zusammenhang zwischen meinem "Born-Out" und der Hörbehinderung herzustellen. Im Gegenteil, die Hörbehinderung habe ich zwar angegeben, war jedoch niemals auch nur ansatzweise ein Thema bei Therapien, Gesprächen usw. Schon damals hätte ich auf die Folgen und Auswirkungen der Schwerhörigkeit aufgeklärt werden müssen; vielleicht hätte ich mich dann auch tatsächlich früher für ein CI entschieden!?! Heute bezeichne ich den Born-Out von damals als "Born-Out der Ohren" - ich glaube, das trifft hier den Nagel auf dem Kopf, da es sich um eine jahrzehntelange, permanente Hörüberlastung handelte. Ähnliche Symptome hatte ich in der Zeit nach der OP und EA.

    Im Rahmen der Implantation und der Zeit danach wurde mir immer mehr bewusst und ich darüber aufgeklärt, was eine Schwerhörigkeit mit einem Menschen macht; auch wenn man von Geburt an auf beiden Seiten schwerhörig ist.

    Als Kind galt ich immer als explosiv und impulsiv, als Erwachsene wollte ich immer mehr leisten und können als alle anderen und immer zu 100 % perfekt alles machen; vor allem dienstlich und stand ständig "unter Strom".

    Erst in der Zeit nach der EA wurde ich zuerst von der Uni Köln im Rahmen der Hörtherapie, später vom psychologischen Beratung des IFD, danach in der Reha in Bad Salzuflen über die Folgen und psychischen Auswirkungen der Schwerhörigkeit aufgeklärt und ich fand nach über 40 Jahren viele Schlüssel und Erklärungen zu meinem Verhalten insbesondere in der Kindheit. Es war teilweise wie ein Schock, sich plötzlich bewusst zu werden, wie wenig ich eigentlich mein Leben lang gehört habe. Aber auch Erleichterung um das Wissen und wie ich mit meiner Schwerhörigkeit nun umzugehen habe; vor allem dienstlich nach außen. Hier stoße ich in der Kommunikation immer wieder hart an meine Grenzen, dennoch macht mir der Job unglaublich viel Spaß und einen kommunikationsarmen Job kann ich mir dennoch nicht vorstellen.

    So gesehen ist es vielleicht gut, dass ich erst nach knapp 30 Dienstjahren erfahren habe, was ich dienstlich eigentlich nicht machen kann, es aber trotzdem mache:saint:.

    Das sehr tiefe Loch, in welches ich kurz nach der EA gefallen bin, war schon extrem. Wurde ich quasi gezwungen, mich mit dem Thema Hörbehinderung tatsächlich auseinanderzusetzen.

    ich wünsche mir ebenfalls sehr, dass Hörbehinderungen mehr in den Vordergrund rücken; Inklusion schön und gut, aber im Bereich der Hörunterstützung im öffentlichen Raum ist sie jedoch kaum zu finden.

    Viele Grüße

    SaSel

    Von Geburt an hochgradig schwerhörig beidseitig, im Laufe der Jahre an Taubheit grenzend schwerhörig beidseitig
    OP rechts am 31.05.2017 Uni Köln, EA am 17.07.2017, Cochlear Kanso
    links HG, zurzeit Resound Linx wegen Kompatibilität zu Cochlear

  • SaSel fast genau so lief auch mein Leben ab. Mr. Burn Out ist mir bisher, Gott sei Dank, noch nicht begegnet. Vielleicht liegt es auch daran das ich mich mit Ruhe an die Herausforderungen des Lebens gegangen bin. Bei mir gings mit dem Hörverlust schleichend. Damals wärend meine Bw-Dienstzeit habe ich dann, nach vielen Problemen im Dienst und einem starken Hörsturz, Hörgeräte bekommen. Die später dann noch erhaltenen HGs haben mir bis vor gut 2 Jahren geholfen meine Alltage zu bestehen. Partys oder große Ansammlungen von Menschen waren und sind mir bis heute ein Graus. Habe dort meistens nur durch Anwesenheit geglänzt und als "Papa/Frau-Taxi" gedient. Vor 2 Jahren fing es dann mit dem Sprachverstehen an. Selbst in ruhigen Szenarien wurde es immer schwieriger Gesprächen zu folgen. In meinem Kollegenkreis so wie in der Familie hat man mir viel Geduld und Hilfen entgegengebracht. Dadurch war das Handycap für mich tragbar geworden. Vor gut einem halben Jahr wurde es aber noch so schlimm das ich kaum noch Sprachverstehen hatte. Ich hatte immer geglaubt das meine Tinnitussis lauter geworden sind und die das hervorrufen. Aber dem war nach Untersuchungen meines HNOs sowie später der CI-Sprechstundenuntersuchungen nicht so. Das Hörvermögen war bei einigen Frequenzen im Sprachbereich gleich 0. Daher fiel mir meine Entscheidung sehr leicht, wurde Sie mir quasi von meinen Ohren vorgegeben ;)

    Nun hab ich am Donnerstag meine EA und freue mich auf meine Hörreise, so holprig sie auch sein mag. Es kann nur noch besser werden.

    Mit der Hörunterstützung im öffentlichen Raum hadere ich auch. Man sieht unser Leiden ja nicht immer. Erst wenn HGs oder CIs oder andere Hilfsmittel getragen werden. Viele scheuen sich auch Geräte zu tragen. Dadurch wird unser aller Situation nicht gefördert. Ich vermute das sogar bei der Ärzteausbildung viel zu wenig in unsere Richtung ausgebildet wird und somit den Allgemeinärzten einfach Kenntnisse und Wissen fehlt.

    Lieben Gruß

    Micha

    Unmögliches wird sofort erledigt.... Nur Wunder dauern etwas länger!;)

    Als Kind sehr oft starke beidseitige eiterige Mittelohrentzündungen, danach mehrere Hörstürze.

    Implantation rechtes Ohr Cochlear CI622 am 16.12.2019 UKM-Münster; EA am 16.01.2020 UKM-Münster;

    Implantation linkes Ohr Cochlear CI622 am 11.01.2021 UKM-Münster; EA am 09.02.2020 UKM-Münster;

  • "Mit der Hörunterstützung im öffentlichen Raum hadere ich auch. Man sieht unser Leiden ja nicht immer. Erst wenn HGs oder CIs oder andere Hilfsmittel getragen werden. Viele scheuen sich auch Geräte zu tragen. Dadurch wird unser aller Situation nicht gefördert. Ich vermute das sogar bei der Ärzteausbildung viel zu wenig in unsere Richtung ausgebildet wird und somit den Allgemeinärzten einfach Kenntnisse und Wissen fehlt."

    Hallo Micha,

    das, s. o., sehe ich genauso. Ich persönlich versuche im Rahmen meiner Funktion als Behindertenbeauftragte der Gemeinde unter anderem auch auf Hörbehinderungen hinzuweisen. Einen wahrscheinlichen kleinen Teilerfolg werde ich eventuell erzielen: es wird derzeit geprüft, ob die evangelische Kirche mit einer Induktionsschleife ausgestattet wird. Ich hatte die Pfarrerin im Zusammenhang mit einer in der Kirche stattgefundenen Veranstaltung auf diese Möglichkeit hingewiesen. Der Hinweis wurde von der Pfarrerin aufgenommen. Mal sehen, was daraus wird.

    Unser Ratssaal hat zwar keine Induktionsschleifen, aber gute Mikrofonanlagen, in denen ich z.B. mein Minimic einstöpseln kann. Das ist dann ein mega entspanntes Hören bei größeren Dienstbesprechungen:saint:

    Ich hoffe, da kommt noch mehr in der Gemeinde;)

    Von Geburt an hochgradig schwerhörig beidseitig, im Laufe der Jahre an Taubheit grenzend schwerhörig beidseitig
    OP rechts am 31.05.2017 Uni Köln, EA am 17.07.2017, Cochlear Kanso
    links HG, zurzeit Resound Linx wegen Kompatibilität zu Cochlear

  • Ja, das stimmt, die Zusammenhänge werden einem selbst spät klar und der Umwelt noch später oder weniger. Ich hatte bei mir festgestellt, dass ich immer aggressiver wurde, keine Lust mehr auf das Treffen mit mehr als einer Person gleichzeitig hatte, weil mir die Gespräche davon galoppiert sind und ich mich z.T. ignoriert und vorgeführt gefühlt habe. Ich weiß gar nicht, was die anderen über mich gedacht haben, weil ich glaube ich oft entweder auf Ansprachen oder Aussagen nicht reagiert habe bzw. sie gar nicht mitbekommen habe und dann kurze Zeit später genau das gesagt habe, was vorher schon gesagt worden war, oder aber weil ich in lauterer Umgebung wie ein Kleinkind in Gespräche hineingeplatzt bin, die ich nicht bemerkt hatte, oder aber Türen geöffnet habe, weil ich eine Antwort auf mein Anklopfen gar nicht gehört hatte und auf gut Glück reingehen musste. So etwas bzw. die Angst davor, Dinge nicht mitzubekommen oder sich 'falsch' zu verhalten, macht auch Stress. Am Ende waren meine Tage von Arbeit - 2 Stunden starr auf dem Sofa sitzen und nichts tun - das Notwendigste zu tun, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können geprägt, viele Tränen sind geflossen. Zwischendurch noch Aussagen aus der Familie wie "Such dir doch eine andere Arbeit!" oder "Geh doch zu xxx!", die in ihrer wahrscheinlich gar nicht gewollten Leichtfertigkeit auch wieder für Wut, Entsetzen und alles geführt haben.

    Ich frage mich aber, ob mehr explizite Information über die Zusammenhänge zwischen Hörschädigung und Psyche soviel bringen würden. Mein Eindruck ist, dass in der Gesellschaft ein Zusammenhang zwischen körperlicher Schädigung und weiteren körperlichen Beeinträchtigungen akzeptiert wird und ist, während eine psychische Beeinflussung durch so etwas (und vielleicht noch mehr bei "nur" einem Ohr*) etwas anderes ist. Die Hürde, das offen zu thematisieren ist hoch.

    * gängige Reaktionen sind ja:

    - ein Ohr zuhalten und sagen: "Ja, das ist doof, aber geht ja noch. Man hat ja noch das andere."

    - "Besser ein Ohr weg als ein Auge weg"

    - "sei froh, dass du nicht blind bist"

    - (von Kollegen) "Ach deswegen bist du so autistisch!"

    einseitig ehemals an Taubheit grenzend, Implantation am 20.9.19, EA am 24.10.19, Nucleus 7 von Cochlear

    das andere Ohr ist normalhörend

  • Auch ich habe einen ähnlichen Weg wie SaSel. Glücklicherweise habe ich es geschafft, kurz vorm endgültigen Burnout die Reißleine zu ziehen. Damals habe ich krampfhaft eine stationäre Reha gesucht und auch in Bad Nauheim keinen Platz bekommen. Geholfen hat mir dann eine selbstgesuchte Verhaltenstherapie, die mir auch die Augen geöffnet hat. Daraus ist dann auch mein Entschluss für ein CI gekommen.

    Ich weiß aber aus meiner über 22 jährigen Tätigkeit als Geschäftsführerin in der Behindertenselbsthilfe, dass Hörbehinderung wenig akzeptiert wird. Ein Problem ist aus meiner Sicht, es ist eine nichtsichtbare Behinderung. Somit fällt es dem Gegenüber schwer, sich eine Vorstellung von unserem Befinden zu machen. Dadurch fehlt auch die Akzeptanz von Hörbehinderung in der Gesellschaft. „ Es gibt ja so tolle unsichtbare HG“.😬dass diese aber nur für wenige nutzbar sind und zbsp. Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik damit nicht klar kommen, wird ignoriert.

    Es ist noch soviel Aufklärungsarbeit notwendig, gerade auch bei Medizinern und ähnlichen Professionen. Und damit meine ich auch die CI-Rehazentren. Wenn es mal nicht nach Lehrbuch läuft, hat man schon so seine Schwierigkeiten an wirkliche Experten zu kommen, wie grad selbst erleben darf.

    Ich bin froh, sowas wie das Forum oder auch betreffende Facebookgruppen gefunden zu haben. Das macht Mut und gibt Kraft.

    durch Masernerkrankung im Kleinkindalter progrediente Schwerhörigkeit beidseits, rapide Verschlechterung in letzten Jahren,

    li: HG Siemens Motion P, re: CI - Cochlear CI522+N7, OP: 30.1.2018, EA: 12.3.2018(Kanso), 2.5.2018 (N7)

  • Mir ging es ähnlich, ich bin seit meiner Grundschulzeit einseitig taub und mir hat man immer gesagt, dass sei nicht schlimmes und man brauche nur ein Ohr, das gehe dann schon.
    Ich hatte während den letzten 20 Arbeitsjahren 2x eine Pause gebraucht weil ich nicht mehr konnte und einfach nur noch müde war. Die Ursache war dann immer die strenge Arbeitsituation gewesen, ein Zusammenhang mit meinen Ohren hat keiner der Ärzte jemals gesehen und gemacht, dabei habe ich immer auf mein taubes Ohr hingewiesen und meine HGs. Das macht einem im Nachhinein wütend und hilflos.

    Wirklich realisiert wie schlecht ich eigentlich immer gehört habe, habe ich erst nach der EA, wie viele andere hier auch und seither wird mir vieles klar im Zusammenhang mit meiner ständigen Müdigkeit (Ich weiss nicht wie oft ich Eisentabletten verschrieben bekam...). In den Schulferien habe ich jeweils einfach fast nur geschlafen weil ich nicht mehr Energie hatte.


    Wenn irgend ein Arzt auch verstanden hätte meine Taubheit und mein Gleichgewicht zu hinterfragen hätte ich wohl einige Unfälle nicht gehabt, niemand hat mir gesagt, dass es wohl besser wäre nicht Einrad zu fahren oder Ski zu fahren und das Langlauf nicht der richtige Leistungssport ist für jemanden der eigentlich kein wahnsinniges Gleichgewicht hat, naja.

    So ein bisschen ganzheitlicher auf den Menschen gucken wäre einfach das Mindeste was ich zumindest von einem Hausarzt erwarte und oder von einem Psychologen, Psychiater wenn man total erschöpft und müde dort anschlurft. Immerhin habe ich all das nun nach 33 Jahren erfahren und kann nun anders durchs Leben gehen.

    li normal hörend

    re taub nach chronischen MOE im Kindesalter, Cochlear N6/N8 OP 8.2.18 EA am 8.3.18

  • Ich hatte ein richtiges deja-vu - Gefühlr beim lesen der letzten Beiträge. Es ist aber auch irgendwie tröstlich zu wissen, dass es nicht nur mir so geht, dass auch andere dasselbe Gefühl der Wut und Ohnmacht erfahren (haben).

    Heute habe ich versucht, im Internet etwas zum Thema Schwerhörigkeit und Sucht zu finden - leider Fehlanzeige. Mein Hintergedanke dabei ist: Sucht ist vielfach eine Flucht in eine Scheinwelt, wenn die reale Wirklichkeit nicht zu zu ertragen ist. Ergo könnte das Isolationsgefühl bei Schwerhörigkeit ein Suchtverhalten durchaus begünstigen, wenn dann noch andere Faktoren hinzukommen. Vielleicht hätte mir damals eine Aufklärung über die Folgen von Schwerhörigkeit und eine beizeitige Umstellung meiner Lebensgewohnheiten auch meine "Karriere" als Alkoholikerin (trocken seit 1999) erspart.

    Im Hörzentrum habe ich heute eine Ärztin danach gefragt. Sie wusste nichts von Studien dazu, hält den Gedanken aber für logisch.

    Wenn Ärzte nichts dazu sagen oder wissen, bleibt nur, dass wir selbst in unserem Umfeld aufklären. Ich habe meine Hausärztin heute gebeten, künftig bei anderen Patienten mit ständiger Müdigkeit/Erschöpfung unklarer Ursache eine Hörschädigung unbedingt anzusprechen.

    Hochtonschwerhörigkeit/Hochtontaubheit von Kindheit an.

    Rechts: CI622 seit 12/2019, Nucleus 7

    Links: 65% Sprachverstehen mit HG (seit 2020 Oticon Exceed)